Artikel drucken Erinnyen Aktuell    21.01.2007
 

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Von Erinnyen Aktuell  veröffentlicht im Oktober 2007

 

Kleines Manifest zur sozialistischen Filmarbeit

Einleitung: Philosophie und Film

Eine Website, die dialektische Philosophie und ethische Prinzipien darbietet, mit einer Medienseite, gar mit Videofilmen?
   Film ist vorwiegend ein emotionales Medium, er spricht den Augen- und Hörsinn an. Der Film scheint unmittelbar zum Publikum zu sein; Philosophie dagegen setzt Distanz voraus, ist abstrakt und beansprucht das intellektuelle Reflexionsvermögen. Eine intellektuelle Anschauung ist ein hölzernes Eisen.
   Diese scheinbare klare Trennung vergisst, dass der Mensch nicht nur einen Kopf hat, nicht nur Begriffe wälzt, nicht immer nur seine exakte Fantasie betätigt. Sondern Begriffe, wenn sie handlungsrelevant sein sollen, müssen im Gefühl versenkt sein, sonst wären wir mit den Gedanken in der sozialistischen Utopie und mit dem Körper kleine Spießer, die Schlagermusik hören und mitmachen. Rechnet der Film auch mit einem Publikum, das sich zerstreuen will und seine Fantasie schweifen lässt, so benötigt die Herstellung eines Films doch exakte Arbeit, Genauigkeit im Detail, Sensibilität gegenüber Nuancen und eine durchdachte Komposition.

Die kapitalistische Produktionsweise muss ständig die Produktivkräfte entwickeln, die Waren verbilligen, neue Bedürfnisse wecken, um ihre Produkte im Konkurrenzkampf verkaufen zu können. Dies ermöglicht heute jeden, mit einfachem Equipment hochwertige Videofilme herzustellen. Die Kluft zwischen Filmproduzenten und Filmkonsumenten wird täglich kleiner – auch wenn man mit den Produktionsstudios in Hollywood und Babelsberg nicht mithalten kann. Es gibt eine Fülle von populären Anleitungen zur Technik, zum Schnitt und zur Ästhetik. Man kann all dies nutzen, um kleine Familienfilme, Urlaubsvideo, Karaokeclips oder Quatschszenen zu drehen, die dann bestenfalls bei Youtube oder Myspace landen.
   Warum nicht auch den Videofilm für die politische Arbeit, den Widerstand gegen Ausbeutung und imperialistische Anmaßungen, für eine sozialistische Gesellschaft nutzen? Es gibt bereits viele Initiativen in dieser Richtung. Es wird Zeit sich über die Videoarbeit selbst zu verständigen und die Prinzipien dieser Arbeit in einem Manifest darzulegen.
   Auch wenn die folgenden programmatischen Forderungen und Kriterien eher ein Maßstab sind, als dass wir sie mit unseren bescheidenen Mitteln und amateurhaften und dilettantischen Fähigkeiten erreichen, so können sie doch orientieren und die Richtung angeben, die eine Perfektionierung unserer Filmarbeit nehmen könnte.

 

Zur bürgerlichen Filmproduktion

Die kapitalistische Gesellschaft setzt den Film, mal verdeckt, mal offen als Propagandamittel ein, selbst ihre Mystery- und Science-Fiktion-Filme haben neben ihrer Ablenkungsfunktion immer die gleiche Botschaft: Die bestehende Gesellschaft mit ihrem Konkurrenzkampf als natürliche dem Publikum einzupauken. Die Kulturindustrie ist seit Jahrzehnten bereits zu einem System zusammengeschossen, das die Konsumenten in emotionalen und geistigen Bann hält – wie widersprüchlich auch immer. Gegen diese Ästhetisierung des gesellschaftlichen Lebens und der Politik setzen wir die Politisierung der Ästhetik und den Film als Waffe.
   Auch Zielsetzungen wie „das bestmögliche Video für das größtmögliche Publikum“, „aktive Medienerziehung“, Förderung des „kreativen Ausdrucks jugendlicher Ästhetikern, Meinungen und Lebensinhalte“, das Einüben „neuer Kulturinhalte“, die „Lust am Film und am künstlerischen wie inhaltlichen Ausdruck“ („Medienprojekt Wuppertal“) – sind inhaltsleer, formalistisch und vertreten die Ideologie des Pluralismus, der es bestenfalls zur repressiven Toleranz gesellschaftskritischer Inhalte bringt.
   Solche Forderungen von Medien- und Filmproduktionen ohne theoriegeleitete Zwecke, die nur als sozialistische rational sein können, unterstützt im allgemeinen Konzert der Meinungen die vorherrschende Tendenz. Diese ist geprägt durch prokapitalistische Ideologien, weil die Masse der Produktionsmittel in den Händen der Klasse liegt, die für ihre Sonderinteressen eine allgemeine ideologische Absicherung benötigt, weil die Auftraggeber kostenintensiver Produktionen und deren massenhafter Verbreitung die einzelnen Fraktionen des Kapitals sind, zu denen auch das Zeitungs-, Film- und Fernsehkapital gehört.
   Unsere Lebenszeit, unser Energie und unsere Kreativität sind uns zu schade, um scheinbar „wertfrei“ und neutral die bürgerliche Öffentlichkeit zu bedienen. (Was nicht heißt, unsere Filme nicht zur massenhaften Verbreitung der bürgerlichen Öffentlichkeit zu überlassen, allerdings nur dann, wenn keine inhaltlichen Abstriche gemacht werden müssen!)

 

Film und Propaganda

Die soziale Funktion in unserem Verständnis unterscheidet sich von Propaganda. Diese ist manipulierend, erweckt Hass gegen die objektiven Interessen des Publikums, behandelt den Menschen wie in der Fabrik, als bloßes Mittel. Die soziale Funktion, die wir intendieren, will aufklären, zum Selbstdenken anregen und die Fantasie zur Solidarität mit seinesgleichen sensibilisieren. Propaganda emotionalisiert und wird zum inneren Feind der Menschen wird. Die soziale Funktion des am Sozialismus orientierten Films bringt die Emotionen mit der eigenen Vernunft in Einklang. (Siehe auch unseren Essay: Vernunft und Gefühl)

 

Die soziale Funktion des sozialistischen Films

Der Film soll die körperlich-greifbare Existenz des Allgemeinen im Besonderen zeigen – sei dieses Allgemeine nun negativ und kritisch darzustellen oder positiv als progressive Tendenz zu verstärken. Der Film betont im Gegensatz und Widerspruch zur ersten Aussage aber auch das Individuelle, Eigenartige und Eigensinnige.
   Sowohl als Dokumentarfilm wie als Lehrfilm ist er an Wahrheit, Objektivität und Authentizität orientiert, wenngleich er auch Mittel der Fiktion, des Spiels und des Gestellten einbezieht. Seine Formelemente sind an der sozialen Funktion ausgerichtet, nicht an l’art pur l’art.
   Die sozialistischen Filme sollen die Unmoral, Ausbeutung und Unterdrückung in der Gesellschaft dokumentieren. Sie haben den negativen Blick auf das Bestehende, andererseits fördern sie alle Tendenzen des vernunftgeleiteten Widerstandes, der Solidarität unter den Lohnabhängigen und des antikapitalistischen Kampfes in der Welt. Sie machen emotionale und gedankliche Angebote, ohne aufdringlich zu sein. Ihre agitatorische Funktion besteht in der Anregung. Der Zuschauer soll die Angebote annehmen, zum Selbstdenken kommen, seine Emotionen schulen und sich selbst mobilisieren und engagieren.
    Die Filme sollen parteiisch sein, insofern die Vernunft im Kampf der antagonistischen Kräfte selbst Partei ist. Sie vermitteln gesellschaftliche und individuelle Erfahrungen mit der kapitalistischen Klassengesellschaft.

 

Die Perspektive

Unsere Filme vertreten nicht die Perspektive des Kapitals, sondern die objektiven Interessen der Lohnabhängigen.
   Die Filme nehmen mal die plebejische Perspektive ein, mal die des gesellschaftlichen Intellekts. Sie sind solidarisch gegenüber den lohnabhängig arbeitenden Menschen und zeigen deren Klassenrealität auf, die sie in verändernder Perspektive kritisieren.
   Die Filme werden nicht dazu dienen, die Herrschaftsverhältnisse zu ästhetisieren, einer bloß formalen Schönheit zu huldigen, die „Welt aus den Augen des Künstlers“ zu betrachten. Sie sind nicht kontemplativ und hermetisch, sondern mobilisierend und eingreifend, zumindest aber kritisch gegenüber den bestehenden Institutionen.
   Sie sollen nicht selbstgefällig-kulinarisch sein oder mit dem Raffinements der Technik spielen (das kann bestenfalls zum Einüben der Technik und der Formen dienen), sondern den Erkenntnisinteressen der gesellschaftskritischen Filmemacher und ihrer kritischen Konsumenten dienen.
   Die Filme wenden sich gegen die heute vorherrschende Tendenz zur Ästhetisierung der kapitalistischen Produktionswirklichkeit und der Marktbeziehungen. Insofern sie einer manipulierten Öffentlichkeit widersprechen, sind sie ein Element der Gegenöffentlichkeit.
   Die alte revolutionäre Ikonografie mit ihren roten Fahnen, gelben Sternen, Hammer und Sichel, dynamisch gen Himmel gestreckten wehenden Bannern ist vorbei.
   Erstrebenswert wäre eine neue revolutionäre Ikonografie, die in einprägsamen Bildern zur politischen Identität der sozialen Kräfte beiträgt.
   Eine solche neue revolutionäre Ikonografie kann aber nicht allein von den Filmemachern geschaffen werden, sondern sie muss aus einer sozialistischen Bewegung selbst hervorgehen.

 

Dokumentarfilm

Die Filmemacher gehen von dem starken Bedürfnis aus, mithilfe des Dokumentarfilms soziale Wahrheiten aufzuzeigen. Sie spitzen die Unmenschlichkeit der Erscheinungen zu, um sie unerträglich zu machen.
   Sie nehmen Abschied von einer vorwiegend kontemplativen Haltung. Stattdessen befördern sie die agitatorischen Effekte, die der Wirklichkeit selbst innewohnen.
   Sie setzen auch die Mittel des Semi-Dokumentarfilms ein, d. h. der Verschmelzung von Authentizität und Fiktion, ohne allerdings die Wirklichkeit zu verfälschen, sie kombinieren unmittelbar gefilmte Realität und synthetisch rekonstruierte Realität, um zum Wesen der Sache vorzudringen.
   Der Dokumentarfilm stellt nicht nur dar, widerspiegelt nicht nur Ereignisse, sondern greift praktisch-tätig mit seiner Parteilichkeit in die Situation ein.
   Was wir nicht wollen ist, in der Darstellung von Armut, Armseligkeit und psychischer Verelendung die visuellen Effekte des Pittoresken oder Kuriosen aufzuspüren oder die Armut in den Metropolen durch Darstellung noch größeren Elends in den Entwicklungsländern zu beruhigen, wie das die kapitalistischen Privatsender machen.
   Der Dokumentarfilm soll nicht nur Elend darstellen, bloß deskriptiv bleiben oder das Kritisierte bloß additiv aneinanderreihen. Schon im Begriff der Mimesis liegt ein überschüssiges Moment, das die Situation kennzeichnet. Es muss immer auch auf die Gegenkräfte verweisen und Tendenzen befördern, die den sozialen Fortschritt betreiben – und sei es ex negativo: als Hinweis auf ihr Fehlen.

 

Zur Technik und zum Handwerklichen

Da heute die Videokameras und das andere Equipment immer preiswerter und technisch immer raffinierter werden, besteht die Gefahr, dass sich die technische Seite der Videoarbeit verselbstständigt. Wir wenden uns deshalb gegen die Machtergreifung der technischen Produktivkräfte über den Inhalt, der Produktionsökonomie über die politische Aussage, des Apparats über den Menschen. Die Technik muss beherrscht werden, aber sie ist der sozialen Funktion untergeordnet.
   Unsere Filme wollen zur Identifikation einladen und reißen den Zuschauer durch Verfremdungen wieder aus der Einfühlung heraus, damit er zum Denken kommt.
   Schnitt und Montage orientieren sich am konkreten Gegenstand und der sozialen Funktion des Films.
   Musik im Film muss funktional auf die Absicht und soziale Funktion bezogen sein. Sie soll einstimmen, Kontrapunkte setzen, illustrieren und Denkpausen ermöglichen. Auf keinem Fall darf sie eine mangelnde Wirkung der Bilder ersetzen oder gar die Filmaussage in einem Klangbrei musikalischer Untermalung auflösen.
   Wir unterscheiden drei bewährte Ebenen des Schnitts und der Montage unserer Filme:

  1. das einfache visuelle Ordnen des Bildmaterials
  2. der Arbeitsgang, der die Objektivität des Wahrgenommenen mit der Subjektivität des Wahrnehmenden verbindet, also psychologische und emotionale Faktoren berücksichtigt
  3. schließlich formt der Schnitt und die Montage die emotionale Zielsetzung zum persönlichen, sozialen und politischen Standpunkt weiter.

  

Zu den Produzenten

Wir gehen von der Erkenntnis aus, dass nicht die Technik und ihre hoch spezialisierten Apparaturen die ausschlaggebende Triebkraft sind, sondern die Menschen, die sie anwenden. Auf ihre Kampfentschlossenheit, ihren Mut, ihr Können und ihre Fantasie kommt es an.
   Die Filmarbeit dient nicht nur zur Aufklärung des Publikums, sondern auch – vergleichbar mit Brechts Lehrstücken – der Selbsterziehung der Produzenten zur politischen Verantwortung.
   Die Produzenten versuchen, vereint mit den Menschen, die sie darstellen, Teil ihrer Umgebung zu werden. Sie sind solidarische oder kritische teilnehmende Beobachter während der gesamten Situation des Filmens.
   Wir wollen nicht nur das Publikum sensibilisieren, sondern auch unsere eigene ästhetische Sensibilität ausbilden.
   Innen und Außen der Filmemacher dürfen nicht auseinanderfallen. Affirmative Filme oder bloßer Ästhetizismus widersprechen unserem rationalen Bewusstsein und erzeugen einen Zwiespalt, der zu Unsicherheit, Angst und Gewissenskonflikten führt. Da wir ohne Fremdmittel arbeiten, sind wir ökonomisch weitgehend unabhängig und haben es deshalb auch nicht nötig, von unseren Prinzipien abzuweichen.
   Die Filmemacher streben in sozialen Konflikten als parteiische Chronisten, organisierend und politisch schöpferisch auf den Verlauf des Kampfes Einfluss zu nehmen. Sie versuchen schnell auf neue Situationen zu reagieren, entschlossen ihren Film auch gegen Widerstände dem Publikum zugänglich zu machen.
  

 

Äußere Einflüsse auf die Filme

Wie wenden uns gegen jegliche Form der Zensur, der Einschüchterung und Behinderung der dokumentarischen Arbeit für eine Gegenöffentlichkeit. Wenn gilt, dass relevante Ereignisse erst dann ins Bewusstsein der Gesellschaft gehoben werden, wenn sie öffentlich sind, dann ist eine Gesellschaft blind, wenn sie Aufklärung verhindert; sie ginge an ihrer hermetischen Isolierung zu Grunde oder verhinderte doch jeglichen Fortschritt, insoweit der nicht nur technisch ist.

Zum Publikum

Heutzutage ist das Publikum ein „halber Fachmann“ (Benjamin) in Bezug auf den Film. Die Menschen sind von klein auf mit dem Film und den anderen Medien aufgewachsen. Dennoch hat dieses Wissen nicht zu einer kritischen Haltung in Bezug auf die inhaltlichen Tendenzen der kommerziellen Filme geführt. An dieser Ambivalenz des Publikums müssen die alternativen Filmer ansetzen, indem sie ihr Publikum auch zur Kritikfähigkeit gegenüber den ideologischen Elementen der Filme und letztlich auch der sozialen Wirklichkeit anleiten.
   Sie benötigen dabei nicht die unübersehbaren Raffinessen aus den Trickkisten, noch müssen sie jede formalistische Spielerei der kommerziellen Filme imitieren. Sie haben die existenzielle Authentizität und essenzielle Objektivität der Wirklichkeitsdarstellung auf ihrer Seite, die in den bürgerlichen Medien tendenziell ausgeblendet wird.
   Die Filme sollten die Haltung vermitteln, dass Denken ein großes Vergnügen sein kann – auch wenn sie sich nach ihrer Berufstätigkeit erholen wollen.
   Wir sehen im ästhetischen Vergnügen, die sich noch in der Darstellung des Hässlichen verbirgt, keine Gefahr, sondern sie ist gewollt, wenn sie der antizipierten sozialen Funktion nicht widerspricht.

 

Literatur

Wir haben uns orientiert an folgenden Texten:
Brecht: Radiotheorie.
Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.
Klaus Kreimeier: Joris Ivens. Ein Filmer an den fronten der Weltrevolution, Berlin 1977.

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Kritik:

Dokumentarfilm als Waffe? Wohl kaum!

Ist dein Text nicht etwas naiv? Schwärmst du nicht in Revolutionsromantik, in rhetorischer Militanz ohne Substanz? Angesichts der Macht der bürgerlichen Medien erscheint deine Videostrategie wie Donquichoterie – oder noch deutlicher – wie Clownerie, das Nachäffen der Sprache von 1968!

   Vor allem der Begriff „der Film als Waffe“ scheint aus der Mottenkiste von vergreisten DDR-Funktionären zu stammen, die sich an ihre erloschene Begeisterung und aufgegebenen Jugendträume erinnern. Selbst dein Gewährsmann Kreimeier distanziert sich von seiner positiven Bewertung dieses Begriff aus dem Jahre 1974. Ich habe ein Zitat von ihm gefunden, in dem es 2001 heißt:

„(…) der pathetischen Formel von der ‚Kamera als Waffe’ haftet heute etwas Pueriles (Kindische, d. Red.), Unreifes an. Und selbst, wer dies nicht akzeptiert, wird einräumen müssen, dass die weitere Entwicklung der Medienzivilisation, die Omnipräsenz der Videokamera und die Satelliten-Technik die Formel gründlich pervertiert haben. Wir müssen heute mit der Vorstellung leben, dass auf jeden beliebigen Punkt der Welt solche Kamera-Waffen gerichtet sind oder gerichtet sein können – Waffen der Aufklärung, der Überwachung, der Kontrolle, der Entlarvung und der Überrumpelung. Im Golfkrieg schließlich waren die Waffen selbst mit elektronischen Augen ausgestattet, haben die Raketen ihren eigenen Dokumentarfilm gefilmt und in Echtzeit an die Kommandozentralen geschickt. Wie die Dinge stehen, könnte man die Vorstellung, die Welt mit der Kamera zu ‚ent-decken’ und sie von den bösen Mächten zu befreien, als letztes Kapitel des großen Kolonialabenteuers verabschieden.“ (Klaus Kreimeier: Joris Ivens – Revision einer Biografie, in: Poesie und Politik, Der Dokumentarfilmer Joris Ivens (1898-1989), Trier 2001, S. 26.) 

Eumenide

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Antikritik:

Gerade wegen der dargestellten Fakten: Der Dokumentarfilm als Waffe!

Man kann jeden Gedanken zergliedern, relativieren, abschätzend einordnen – und man wird handlungsunfähig. Die Kritik von Kreimeier an dem Begriff „die Kamera als Waffe“, die er selbst 1974 noch positiv benutzt, hat in Bezug auf das Publikum ihre Berechtigung – zugegeben. Aber! Wenn die Waffen selbst ihren Dokumentarfilm drehen, wenn Satellitensender uns ständig ideologisieren, d. h. mit falschem Bewusstsein vollstopfen, dann kann man das nicht nur bis ins Detail zergliedern, analysieren und darüber reflektierten. Die akademische Diskussion ist notwendig, aber nicht ausreichend. Wenn diese Erkenntnisse nur der linken Elite (oder denen, die sich ihr zurechnen) zugänglich bleiben, dann nützen sie wenig. Wir haben heute nicht zu wenige Erkenntnisse, sondern zu wenig Widerstand gegen das, was als falsch erkannt wird. Wenn man sich aber einmal zum Handeln entschließt, und sei es nur mit agitatorischen Artikeln im populären Diskurs unter Alternativen und Linken (mit oder ohne Parteizugehörigkeit), dann muss man auch Handlungsvorschläge machen. Wenn sich Leute aufmachen und mit ihrer Videokamera den Widerstand gegen das Kapital und seine Folgeerscheinungen dokumentieren, dann wird die Kamera und der Film automatisch zur Waffe, ob die Videoartisten das nun wollen oder nicht, ob der Begriff abgedroschen wirkt oder nicht.
Filme sind ein vorwiegend emotionales Medium, ihre Botschaft ist oft plumpes Denken. Der schnelle Wechsel der Bilder lässt kein Versenken in das Thema, keine tiefe Zergliederung zu. Im Idealfall setzt sie nach der Rezeption des Films ein. Dieses plumpe Denken aber ist notwendig,  nicht nur weil wir auch Augenmenschen sind, sondern vor allem weil es eine Anweisung der Theorie auf die Praxis sein kann und sein sollte. Man kann nicht dem omnipräsenten (kapitalistischen) Fernsehen kampflos die Deutungshoheit über die Bilder überlassen.

Allekto

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Anmerkung der Redaktion:

Es gibt Intellektuelle wie Kreimeier, die - wie die Macher in der Modeindustrie - den neuesten Trends folgen - und seien es linke Trends. Sie haben dafür sogar eine eigene (bürgerliche) Philosophie bei der Hand, die in jeder Epoche der Geschichte des Denkens einen „Paradigmenwechsel“ meint ausmachen zu können. Wahrheit verkommt zum Konsens. Der Fehler von Kreimeiers Buch von 1974 war seine politische Perspektive: der Maoismus (was allerdings seine Darstellung von Joris Ivens kaum verschlechtert). In seinem Aufsatz von 2001 geriert er sich als Abwickler einer Politik der Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise – wie sein Titel bereits erkennen lässt. Beides ist falsches Denken. Es fehlt diesen Leuten ein Selbstvertrauen in die Vernunft und das eigene Denken, sie lassen sich von den Zeitströmungen Bange machen und mitreißen. Was es mit dem „Paradigmenwechsel“, der geeignet ist, jede Art von Opportunismus und Revisionismus zu rechtfertigen, auf sich hat, haben wir mit Kuhne in unserer Rezension seines Buches über Kant und Fichte dargestellt.